MnT.ZOOL.GES.BRAUNAU Bd. 5 Nr. 13/16:263-267 Braunau a.I., 5.9.1991 ISSN 0250-3603
Überwinterung von Seefröschen (Rana ridibunda)
an Thermalquelle
Von JOSEF H. REICHHOLF, München
1. Überwinterungsverhalten
Seefrösche überwintern in der Regel am Grunde von Gewässern.
Am unteren Inn wurden sie in tieferen Rissen
trockengefallener Lagunen und Buchten im Spätherbst gefunden;
so beispielsweise am 19. November 1988 im Rückstaugebiet
der Innstufe Schärding-Neuhaus. Sie ziehen sich auch
in den Bodenschlamm von Teichen oder in den leicht überströmten
Sand von Gräben zum überwintern zurück. Beginn und
Ende der Aktivität werden beim Seefrosch sehr stark von den
herrschenden Temperaturverhältnissen beeinflußt. In milden
Wintern kann es zu scheinbar ganzjähriger Aktivität kommen,
aber die genauere Untersuchung der festgestellten Frösche
zeigte dann doch, daß es sich bei den im Spätherbst bis zum
Dezember noch gefundenen um andere als bei den im Januar
und im März aufgetauchten handelte. Der um durchschnittlich
2° C zu warme Winter 1982/83, der im Januar 1983 eine
Abweichung um 5,6° C nach oben ergeben hatte und in Zusammenhang
mit der großen Witterungsanomalie von 1983 stand,
verursachte keine kontinuierliche Winteraktivität bei den
Seefröschen am unteren Inn (REICHHOLF 1983). Der Winter
1988/89 war zwar insgesamt auch zu mild, aber bei weitem
nicht so ungewöhnlich wie 1982/83. Im November gab es eine
mehrtägige Frostperiode mit nächtlichen Minimaltemperaturen
unter -10° C. Eine allgemein zu milde Winterwitterung
scheidet daher als Erklärung für die kontinuierliche Überwinterung
von Seefröschen 1988/89 in der oberen Reichersberger
Au aus.
2. Aktive Überwinterung 1988/89
Am 13. November 1988 sah H. REICHHOLF-RIEHM am Ablauf
der Thermalquelle in der oberen Reichersberger Au am unteren
Inn erstmals einige kleine Frösche, die ins Wasser
hüpften und nicht sicher bestimmt werden konnten. Die
genauere Kontrolle, die wir am 27. November 1988 vornahmen,
© Mitt. Zool. Ges. Braunau/Austria; download unter
www.biologiezentrum.at
- 264 -
ergab 4 Seefrösche entlang der Abflußstrecke des Thermalwassers
bis zur Einmündung in das Altwasser. Es herrschte
an diesem Tag Hochnebel. Die Lufttemperatur lag knapp über
0° C und eine dünne, nicht ganz geschlossene Schneeschicht
bedeckte den Boden. Die Frösche waren voll aktiv und hüpften
bei Annäherung auf wenige Meter bereits ins Wasser, wo
sie ganz gut sichtbar blieben. Ein größerer saß am Einlauf
des Thermalabflusses ins Altwasser, drei kleinere auf der
Strecke dazwischen. Ihre Haut war bereits wie bei Überwinterern
recht dunkel. Beim größeren konnte aus der Nähe das
typische Ringelmuster erkannt werden. Alle vier wurden
gefangen und vermessen.
Frosch Nr. 1 2 3 4
Körperlänge* 2.8 2.9 3.0 6.2 cm
*= Schnauzenspitze bis After bei leicht gestreckter,
flacher Körperhaltung (ohne Krümmung).
Die Seefrösche verhielten sich wie bei sommerlicher
Aktivität; sie waren weder ruhiger, wie überwinterungsbereite,
noch hatten sie eine trockenere Haut. Mit Sprungweiten
von 0.5 bis 0.9 m hüpften sie nach der Freilassung
davon.
Nach etwa 5 Minuten suchten sie wieder ähnliche Ruheplätze
wie vor der Annäherung auf. Dazu begaben sie sich
ins flache Thermalwasser und plazierten sich so, daß der
größte Teil des Körpers aus dem Wasser ragte. Der große
verschwand im Uferbereich des Altwassers nahe der Thermalwassereinmündung.
Er kam nicht wieder hervor.
Am 18. Dezember 1988 wurde erneut kurz nach den Fröschen
gesucht: Die drei Kleinen waren vorhanden. An den beiden
nächsten Kontrollen am 21. Jannuar 1989 und am 19. Februar
1989 konnten jeweils nur noch zwei der kleinen Seefrösche
festgestellt werden. Sie hatten Positionen nahe dem Einlauf
in das Altwasser bezogen. Ende Februar kamen überwinternde
Seefrösche aus ihren Ruheplätzen hervor. Somit ist an
diesem Thermalwasserablauf eine durchgängige Winteraktivität
für zumindest zwei Seefrösche nachgewiesen. Ohne jeden
Zweifel steht diese aktive Überwinterung in Zusammenhang
mit dem Thermalwasser. Deshalb sollen die Verhältnisse
nachfolgend näher erläutert werden.
3. Das Thermalwasser
Der Abfluß von Thermalwasser strömt aus einer in der
oberen Reichersberger Au eingebrachten Probebohrung. Sie
war erfolgreich und liefert seit Jahren einen armdicken
Strahl von Thermalwasser, welches offenbar dem Wasser, das
in Bad Füssing, Niederbayern genutzt wird, sehr ähnlich
ist. Das dortige Thermalwasser kommt mit einer Temperatur
von 56° C aus den Bohrungen. Es enthält Schwefelwasserstoff
© Mitt. Zool. Ges. Braunau/Austria; download unter
www.biologiezentrum.at
- 265 -
und mit 0.16 Milligramm pro Liter einen deutlich erhöhten
Eisengehalt. Da der Thermalwasserabfluß in der Reichersberger
Au gleichfalls nach Schwefelwasserstoff (H2S) riecht
und da es entlang des Ablaufes ins Altwasser zur Bildung
von Verockerungen kommt, wird eine grundsätzlich ähnliche
Zusammensetzung des Thermalwassers angenommen. Auch Kolonien
von Schwefelbakterien weisen auf den Schwefelgehalt
hin.
Im Ausflußrohr betrug die Thermalwassertemperatur am 27.
November 1988 allerdings nur 47.6° C, also fast 10 Grad
weniger als in Bad Füssing. Am 19. Februar wurden ebenfalls
exakt 47.6° C gemessen. Auf der rund 15 m langen Fließstrecke
bis zum Altwasser verminderte sich die Temperatur
im November (Lufttemperatur 2° C) auf 38° C, während im
Februar 1989 bei 13.3° C Lufttemperatur die Wassertemperatur
bei etwas über 40° C bis zur Altwasserkante blieb.
Abb. 1 zeigt den Verlauf der Temperaturabnahme und die
Position der Seefrösche für November 1988 und Februar 1989.
27.November 1988
Quelle
4 7 . 6 ° C F r o s c h 1 . 2
1
45°C 7 r
42°C 40.9°C 40°C
Altwasser
19.Februar 1989
47.6°C Frosch 1 3
46.1°C 42.8°C / 28°C 1
4O.2°C 15°C
Abb.l: Verteilung der Seefrösche und der Wassertemperaturen
am Abfluß des Thermalwassers
Entsprechend des hohen Mineralstoffgehaltes und der
hohen Temperatur erreicht das Thermalwasser eine hohe Leit-
© Mitt. Zool. Ges. Braunau/Austria; download unter
www.biologiezentrum.at
- 266 -
fähigkeit. Am 27. November 1988 lag sie bei 1550 Mikrosiemens
pro Zentimeter. Das Altwasser zeigte unterhalb der
Einleitstelle eine Leitfähigkeit von 830 Mikrosiemens;
oberhalb waren es nur 300, also deutlich weniger als in den
Quellaustritten des Reichersberger Hanges, in denen am
selben Tag 490 Mikrosiemens gemessen wurden. Der Sauerstoffgehalt
des Altwassers lag mit 5.8 Milligramm pro Liter
recht niedrig. Der Wert entspricht nur noch knapp 52%
Sättigung, da bei der Wassertemperatur von 11.3° C ein
Sättigungswert von 11.2 mg/1 zu erwarten wäre.
Bemerkenswert erscheint die Feststellung, daß die Frösche
Stellen mieden, deren Temperatur über 42° C lag. Bei
diesen Temperaturen beginnen viele Eiweißstoffe mit dem
Gerinnen. Auch zeigte die Art, sich ins Thermalwasser zu
setzen, daß sie einen Temperaturausgleich durch Abkühlung
über die Körperoberseite bewerkstelligten.
4. Den Winter überleben
Das Thermalwasser bietet den ganzen Winter über Bedingungen,
wie sie nicht einmal in sehr heißen Sommerperioden
herrschen. Selbst im ganz flachen Wasser steigt die Wassertemperatur
dann nicht über 40° C an. Doch die intensive
Sonneneinstrahlung bedeutet eine nicht minder massive
Wärmezufuhr, so daß der Wärmefluß von Thermalwasser zum
Frosch nicht so ganz aus dem Rahmen fallen dürfte. Eine Erwärmung
des Froschkörpers auf 35 - 40° C, die das heiße
Wasser erzeugt, fällt nicht nur in die Bandbreite der
sommerlichen Körpertemperaturen von Fröschen, sondern auch
in den für Bewegungsaktivität günstigsten Bereich. So nimmt
es nicht wunder, daß die Seefrösche ihre der Körpergröße
entsprechenden, vollen Sprungleistungen mitten im Winter
erbrachten.
Hohe Körpertemperatur bedeutet aber auch hohen Energiebedarf.
Woher die winteraktiven, Seefrösche die hierzu
nötige Nahrung genommen haben, ist nach wie vor unbekannt.
Es schwärmten am Rande des Heißwasserabflusses zwar auch im
Winter gelegentlich ein paar Mücken, aber sie dürften wohl
kaum ausgereicht haben, die Frösche mit Nahrung zu versorgen.
Vielleicht haben sie von Vorräten, die zur Überwinterung
angesammelt waren, gezehrt? Vielleicht gelang es ihnen
auch, im erwärmten Teil des Altwassers im Winter Nahrung zu
finden. Jedenfalls ist es mit warmen Wasser nicht getan,
eine volle Winteraktivität aufrechtzuerhalten.
Möglicherweise verlief die aktive Überwinterung auch
nicht ohne Verluste. Im Januar und Februar konnten jeweils
nur noch zwei der Seefrösche angetroffen werden. Das
schließt zwar nicht aus, daß die beiden anderen auch am
Leben waren und sich nur ins Altwasser zurückgezogen hatten,
aber sie können auch erbeutet worden sein. Denn am 27.
November 1988 hielt sich unmittelbar am Einlauf des Thermalwasser
in das Altwasser eine Rohrdommel (Botaurus Stella-
© Mitt. Zool. Ges. Braunau/Austria; download unter
www.biologiezentrum.at
- 267 -
ris) auf. Es sollte ihr nicht schwergefallen sein, die
""^Fehlenden" Seefrösche zu e r b e u t e n . Die Wärme allein bietet
sicher zu wenig. Sie verbessert keineswegs auch das Nahrungsangebot,
vergrößert aber unter Umständen die Verluste
an Feinde. So wird das Überwintern in Thermalwasser den
Seefröschen kein neues Tor zur besseren Über- brückung des
Winters geöffnet haben.
Zusammenfassung
Im Winter 1988/89 wurden von November bis Februar zunächst
4, dann 3 und später noch 2 aktive Seefrösche in
einem Thermalwasserabfluß bei Reichersberg am Inn festgestellt.
Es handelt sich um eine vollständige aktive Überwinterung.
Die Frösche hielten sich bevorzugt an Stellen
mit 40° C oder weniger Wassertemperatur auf. Wovon sie sich
ernährten, ist unklar.
Summary
Winter Activity of the Lake Frog (Rana ridibunda) in a
Thermal Effluent in Upper Austria
In the winter of 1988/89 active Lake Frogs were observed
from November to February. They spent their wintertime in
the effluent of a thermal spring at temperatures of 40
degrees Celsius or less. On what food they did make their
living is unknow. The fig. shows the temperature distribution
in the effluent and the position of the frogs.
Literatur
REICHHOLF, J. ( 1 9 8 3 ) : Einfluß von mildem Winterwetter auf
Ende und Wiederbeginn der Aktivität von Amphibien im
südostbayerischen Inntal. - Mitt. zool. Ges. Braunau
4:163-166.
Prof. Dr. Josef H. Reichholf, Zoologische Staatssammlung,
Münchhausenstr. 21, D-w-8000 München 60